Ruth Erat

Göttinnen
Zur Ausstellung von Hélène Kaufmann Wiss

Feuer flammt auf,
wird blau, schmilzt das Silber zur trägen Flüssigkeit um,
die das Holz verkohlt, zusammenbrennt, mit Haarrissen durchzieht,
und während sich alles im Glutraum der herausgefrästen Höhlung verwandelt,
wächst eine Form im Ahorn, in der Buche, in der Eiche - im Baum.
Da liegt das feste Metall.
Da wohnt für einen Augenblick die Göttin für sich.
Im schwarz Verbrannten glänzt Silbernes - silberne Glocke, silbernes Meer, Silberstein.

Dann klappt die Form auf.
Konvex und konkav die Göttin.
Metallen und verbrannt.
Gehärtet und verkohlt.
Schimmernd und schwarz.
Eingeschmolzen und geflammt.
Im Holz die schwarze Göttin und die Silberfrau.
Aus dem Silbermeer steigt ein Zeichen, geboren im Glutraum des Lebens.
Der Baum trägt seinen Stachel.

Fragil und fest liegen sie da, die Göttinnen.
Silberhände umfassen eine Himmelssphäre.
Frauenkörper umschliessen ein Rund.
Linien führen hinaus.
Der Kopf durchstösst die hölzerne Gussform.
Golden gefasst, durchbricht die Perle den Baum.

Manchmal tauchen sie auf, die Göttinnen.
Rot, die Polster und Tapeten. Glänzend, spiegelnd, blitzend die niederhängenden Glastropfenschnüre der Lüster. Zimt und Kardamomduft steigt auf, Vanille und Ingwer. Die weissen Porzellantassen und -krüge stehen in Silbertabletts umgeben von Gläschen mit Honig und Kandis und weissen Zuckerstockbrocken. Da sitzt sie. Über dem schwarzen Kleid ein rubinfarbener Mantel. Die hellen Hände ruhen auf ihrem Schoss. Auf dunklem Samt leuchten geschliffene Glasdiamanten auf, grosse durchscheinende Steine.
Neben der Göttin liegt ein Plastiksack.
Neben der Göttin, was die Drift des Alltags anschwemmt:
Das winzige Schwemmholzteilchen - das uralte Holz aus dem Fluss, von den Wellen geglättet, entrindet. Ein im Seegang und im Gewoge Ausgekerntes. Ein Rest, angespült von irgendwo.
Das Pferdehaar ist von diesem Frottée-Band zusammengehalten, diesem Billigstteil aus der EPA oder so, vom Kiosk um die Ecke, von irgendwo - was weiss ich? - auch von Kindertagen her, aus einem nirgendwo erwähnten Tag mit seiner Gleichgültigkeit, mit seinem Staub und seiner verzweifelten Lust, wenn der Wind ins Haar greift - auch mit seiner Sorgfalt, wenn die Hand über Fransen und Mähnen streicht, und mit einem Mal die Trauer derer aufsteigt, die mit der eigenen Haut, die über Tierhaar gleitet, ihre Fremdheit ahnen.
Dann sieht man das alte Strumpfband einer halb vergessenen Lust daliegen und den gehäkelten Kupferfaden, das Lederstück und den mit winzigsten Zeichen bemalten Verschluss, auch jenen aus winzigsten harten Borsten in Weiss und in Rot.
Was hat sich da angesammelt in einem Leben?
Was liegt da zu Füssen der Göttin?
Man erinnert sich an den Faden, das Gehäkel, das Labyrinth des Minos, aus dem Ariadne herausfindet, dem Faden entlang, dem ausgerollten Strang, dem auseinander gedröselten Strickwerk des Lebens.
Im verknäulten Faden aufrollend das Netz finden, das die Göttin birgt.
Im Häkelschlag des Gelebten eine silberne Gussform.
Aus der Tagesflut gefischt ein in der Glut verwandeltes Silbermeer in seinem Holz.
Im vom Schwemmholz der Erinnerungsstücke verschlossenen Bett aus schwarzer Kohle die Göttin.

Matronen sitzen in ihren Stühlen am Strand, packen Nudelsalat aus ihren Taschen und Brot und Wein und ziehen sich die Lippen rot glänzend nach, warten im Schatten auf die Enkel, die Bambini, die schreiend über den heissen Sand laufen, ins Wasser hinein, ins Gewoge, in die Flut.
Trauben und Tomaten liegen neben Feigen auf Tellern. In den offenen Plastikdosen stecken Gabeln. Handy-Klingelzeichen legen über den Wellenschlag Arien und Schnulzen. Und wie alle hier gestikulieren die Göttinnen des Essens, während sie ins Telefon sprechen. Es sind die uralten Formen des Redens einer Zeit, als man sich noch sah beim Gespräch und nur mit den Gesten der Hände und Arme Wörter fand.
Ein Nordafrikaner breitet vor den Stühlen ein Badetuch aus.
Meraviglioso, rufen die Matronen und: divino.
Auf dem Tuch springt ein goldgelber Tiger über feuerroter Erde in einen blauen Himmel hinein. Und die Arme der Matronen umarmen die Luft.

Hélène Kaufmann Wiss hat sie ins Holz gebrannt, diese Gesten, die Spuren, die in die Luft hinaus führen, in den Himmel. Entstanden sind um die eingefrästen Formen weiterführende Zeichen.
Wie die Gesten.
Wie die Umarmungen.
Wie das Stück Gespräch, das dem Dasitzen, dem Dastehen, den in den Himmel greifenden Händen entsteigt.
Zeichen, deren Bewegung nach sich erst Wörter und Sätze finden.
Ursprungsgesten.

Entstanden ist die erste Form für eine Wanderausstellung des Forums Schmuck und Design zum Thema "Ursprung".
Entwickelt haben sich die Götinnen in der Weiterarbeit:
Holzguss für Holzguss,
von den Händen, die das fast geschlossene Rund umfassen, zum Ring,
vom alten Matriarchatszeichen zur Göttin, deren Leib das Holz, in dem sie sich formte, umschliesst,
vom Silberkern, zu dem ein schwarzes Brandloch führt, zum Sternrubin, der aus dem Buchenholz knospt.
Alle liegen sie in ihrem Gussholz da.
Alle reihen sich in ihrem geschliffenen Ursprungsort.

Zuklappen, aufklappen, zuklappen.
Die Serie der zusammengekletteten, der umschnürten, umgarnten, verschlossenen und vom spiegelnden Glas gedeckten Göttinnen wird zur Folge glatt geschliffener Schatztruhen, polierter Kammern.
Nur an der einen Stirnseite führt das Brandloch in die Tiefe, in die Spurenwelt der Verbrennung.
Da und dort wächst aus dem Innern das Silber.
Am Ende hält Gold den spiegelnden Sternrubin.
Am Ende greift der rote Stein aus dem Erdinnern nach dem Himmel.
Ist das der Anfang?
Ist das der neu transformierte Ursprung aus einer doppelten Metamorphose, jener der Verkohlung und jener der Kristallisierung?

Die Göttin wächst aus dem verkohlten Baum.
Ihr Rot führt den Namen der Gestirne mit sich.
Aus den Steingängen im Erdinnern geborgen, spiegelt es sich in der Glassphäre, die alles umschliesst.
Aus den Brandspuren wächst die Erinnerung einer Erdgeschichte, gewachsen und transformiert in einer Zeit ohne uns.
Das Rot redet von einer Verwandlung in einer Tiefe, in die wir nicht steigen, von Erhitzung und Druck, die uns tödlich wären, von einer Spur der Metamorphose fern von uns.

Die alte Frau, die auf einem steinernen Eiland lebt, einer der Kornateninseln, von denen es heisst, sie seien Perlen der Götterwelt, rudert in ihrem Holzboot hinaus, auf das Meer. Wir drehen bei, stellen das Segelschiff in den Wind, winken mit zum Himmel erhobenen Armen. Die Frau zieht die Ruder gleichmässig durch das Wasser, steigt die Wellen hinan und gleitet hinab.
Wie das Boot neben uns, in der Tiefe, schaukelt, greift sie nach einer bauchigen Flasche. Rotwein für uns. Sie lacht. Ihr Gesicht ist von der Sonne verbrannt. Ihre Hände sind schwarz. Sie sagt, dass unser Schiff früher schon da war.
Wann war das?
Und was hat dies mit uns zu schaffen?
Was die verbrannte Göttin von der Steininsel weiter redet, verstehen wir nicht.
Während wir den Rotwein an einem Tau in die Höhe ziehen, hebt sie ihre Arme zum Himmel, winkt uns zu, ehe sie neu die Ruder umfasst, ihr Boot Schlag um Schlag zurückstösst zu dieser hellen Insel, einer Perle der Götterwelt, wie es heisst, einer vollkommen verlassenen Steinwüste im Meer, wie wir zurückschauend denken.
Der Wein, den wir unter dem eindämmernden Abendhimmel trinken, schmeckt nach Kalk. Die Insel ist irgendwo hinter den schwarzen Wellen weggetaucht. Wäre Winter, wir könnten weit weg Rauch aufsteigen sehen.
Nach und nach glänzen über uns Sterne auf. Es ist wie immer in diesen Tagen auf dem Meer.

Die Göttinnen von Hélène Kaufmann Wiss folgen den Spuren der Erinnerungen - dieser und jener und halb vergessener Geschichten, unverstandenen und fremden.
Vielleicht verstehen wir doch:
Die erhobenen Hände im Ahorn und der silbern gefasste Kreis, im Säurebad geläutert, darum das Stück frivoler Lebenslust, das Strumpfband aus Paris oder so,
der Frauenkörper, um den die in der Eiche versprengten silbernen Punkte schweben,
die Figur, die in ihrem Buchenholzbett wie auf silbernen Feuerflügeln schwebt,
die Eschenholzgestalten, die eine, die in die Länge gezogen zwischen alltäglichem Klettband, weiss und rot gefasst, schwarz ist und silbern und jene andere, die in die Breite wächst, eingefräste Zeichen trägt, tätowierte Gelenkpunkte, Scharnierzeichen, die daran erinnern, wie sich Gesten zu Zeichen fügen, Spuren zu Wegen, zu den Fäden, die ein Netz auswerfen, zur Form, die Erinnerung umfasst.
Dann fällt der Blick auf den Leerraum und auf diese letzte oder erste Form unter der Glocke, die sich, schaut man durch den kleinen Glasknauf, im Zentrum spiegelt, in dieser Mitte, die leer ist - ein Raum für Bilder, die von aussen her einen Moment lang den Kreis des Innern vor unserem Auge auftauchen lassen.
Wir sehen, was unser Auge sieht.
Hélène Kaufmann Wiss hat uns dafür Spuren gefräst, in der Hitze das Gewachsene zum schwarzen Bildzeichen verfestigt und transformiert, das Silber verflüssigt und geformt, da und dort gereinigt, am Ende oder am Anfang mit dem Sternrubin, der aus seiner Goldfassung wächst, die Metamorphose aus dem Erdinnern gehoben, das durchscheinend gewordene Rot in eine neue Umwandlungswelt gelegt, jene einer Mitte, in der ein ausgesparter Raum die reale Form als gespiegeltes Bild wiederholt.
Was liegt da?
Was liegt in der Mitte der Göttin?
Was liegt im Kreis des Verbrannten?
Was wächst da in diesem Baum?
Der Stern, das verwandelte Rot der Erde?
Das gespiegelte Bild des verfestigten Silbermeers?
Unser Sehen?
Ein trompe l’oil?
Ein Nichts oder Alles?
Wir sehen, was unser Auge sieht. Es klappt auf. Es klappt zu. Die Kästchen verschliessen sich, öffnen sich. Man kann den Silberschatz heben. Die Göttin bleibt eine Spur. Und in ihr ist Raum, geborgener Leerraum.
Was darin redet, hängt an unserem Auge.
Da tritt der Ursprung aus seinem Meer der Zufälligkeiten, des Unverstandenen und Vergessenen, aus dem milliardenfach produzierten Haarband ebenso wie aus dem Sternrubin in seiner Goldfassung.
Uns steht das eigene Aug entgegen.
Es klappt auf.
Es klappt zu.
Die Göttinnen erwachen.
Die Göttinnen liegen weit weg, in ihrer Kammer.
Da verbirgt sich der Stachel aus Silber, die verkohlte Höhle, die Metamorphosen, die Erinnerung, das tätowierte Leben mit seinen Gesten.

Ruth Erat, November 04